Interview zum Thema Diversity mit Leaderhip-Expertin Stefanie Voss
- Was ist Diversity Management?
Ganz einfach: Es ist die bewusste Steuerung der Zusammensetzung des Personals, so dass eine möglichst heterogene Gruppe von Menschen in enger Zusammenarbeit verbunden ist. Wenn diese Vielfalt von Sichtweisen, Erfahrungsschätzen und Meinungen in wertschätzender Art zusammenkommt, dann ergibt sich Agilität, Innovation und Erfolg.
- Wie wichtig ist gelebte Diversity für Unternehmen?
Wer mit einer recht homogenen Mitarbeiterschaft weiter das tut, was er immer schon gut gemacht hat (und das machen im Jahre 2019 leider immer noch viele Organisationen ...), der ist nicht zukunftsfähig. Diversity ist in der sich immer schneller drehenden, globalen Welt überlebenswichtig!
- Warum tun sich viele Unternehmen schwer, Diversity zu leben?
Diversity ist total unbequem - und genau das spricht leider keiner ehrlich aus! Es ist viel einfacher, in homogenen Strukturen zu arbeiten. Heterogenität schafft Reibung und Konflikte, es braucht viel Kommunikation, Rücksichtnahme und Respekt, und das kostet Energie. Und es braucht zwischenmenschliche Überwindung, die Andersartigkeit anderer Menschen als etwas Wertvolles zu erkennen. Das tut sich kaum jemand an – vor allem dann nicht, wenn eine Organisation „erfolgreich“ läuft. Wenn dann die Erkenntnis kommt, dass sich etwas verändern muss, ist es leider meistens schon ziemlich spät.
- Ist Diversity in Deutschland vorrangig ein Frauenthema?
In den in Deutschland sehr wichtigen, männerdominierten Branchen (Automotive / Engineering / Energie etc.) ist der geringe Frauenanteil natürlich besonders auffällig. Aber es geht bei Diversity um viel mehr als nur um Gender. Gibt es Junge und Ältere? Menschen mit und ohne Migrationshintergrund? Gibt es verschiedene Nationen? Logiker und Kreative? Akademiker und Praktiker? Detailverliebte und Visionäre? Es geht um eine möglichst heterogene Sicht auf die Welt, auf die Organisation, auf die Märkte und auf die Kunden. Genau darauf sollten Unternehmen achten – in Deutschland und überall sonst auch.
- Wie setzt man Diversity Management richtig um?
Der schwierigste Schritt ist es, die verschiedenen, unbewussten Neigungen (unconscious bias) anzuerkennen. Wir haben sie alle! Wir finden einfach Menschen sympathisch, die uns ähnlich sind - so funktioniert unser Gehirn und unser Wahrnehmungssystem - und deswegen arbeiten wir mit denen auch am liebsten zusammen. Weil das so ist, müssen wir ganz klar dagegen steuern. Diese Strategie des Gegensteuerns gehört in die Personalauswahl, die Teamzusammensetzung und die tägliche Zusammenarbeit – auf allen Ebenen der Organisation.
- Gibt es aus Ihrer Karriere ein positives Beispiel von gelebter Diversity?
Ich wurde an verschiedenen Stellen meiner eigenen Karriere als „Vorzeigebeispiel“ für die bewusste Frauenförderung herangezogen, da ich schon sehr früh verantwortungsvolle Positionen besetzt habe. Das war jedoch rückblickend eher das, was ich heute als „Feigenblatt-Diversity“ bezeichnen würde. Man sucht sich ein einziges Beispiel heraus, an dem man Diversity zeigen kann, und lenkt dann davon ab, dass an zig anderen Stellen in der gleichen Organisation Diversity überhaupt keine Rolle spielt.
Meine Erfahrung ist heute, dass gerade die Unternehmen, die im starken Wettbewerb um Fachkräfte und Innovationspotential stehen, den Sinn von Diversity erkennen und konsequent umsetzen. Sie stehen unter Druck, sie brauchen das ständige Hinterfragen und Weiterdenken. Wer hingegen noch zu sehr in der Erfolgswelle von gestern und vorgestern schwimmt, der tut sich schwer mit diesem radikalen Wandel.
- Woran erkennen Bewerber, dass Diversity im Unternehmen gelebt wird?
Ich schaue mir gerne bei LinkedIN an, was für Menschen ich bei einem Unternehmen generell finde. Dazu schaue ich, wer hat Führungsverantwortung? Wer sitzt im Vorstand, wer im Aufsichtsrat? Lauter weiße Herren Mitte fünfzig im dunklen Anzug sind hier leider noch ein weit verbreiteter Klassiker. Außerdem ist es spannend, einfach mal nachzufragen, wie die Personalauswahl abläuft. Geht es nur nach Noten, nach ganz „typischen“ Kriterien wie Ausbildung, Studienfächern, Berufserfahrung, Sprachkenntnissen? Oder werden auch Menschen mit ungewöhnlichen Lebensläufen berücksichtigt? Sucht man bewusst nach den Andersdenkern und Rebellen, um die eigene Organisation aufzumischen?
- Was können kleine und mittelständische Unternehmen tun, um Diversity umzusetzen?
Egal ob klein oder groß, es geht in jeder Organisation, die Diversity ernst nimmt, immer um ein MEHR an Vielfalt und ein WENIGER an Bequemlichkeit. Das kann – gerade bei Unternehmen mit einer langen Tradition – in der Umsetzung schwierig sein. Denn natürlich führt mehr Diversity nicht automatisch direkt zu mehr Erfolg. Erst kommt der steinige Weg der Konflikte, der Veränderungen, des Hinterfragens und Neudenkens. Und natürlich kann man auch nicht einfach mal eben ein Drittel der Belegschaft austauschen, um mehr Frauen, jüngere Menschen oder andere Nationalitäten zu berücksichtigen. Also muss es zunächst darum gehen, dass das, was an Vielfalt schon da ist, noch mehr genutzt wird.
Hier sind vier konkrete Ideen, wie Sie den Weg zu mehr Diversity losgehen können:
- Vernetzen Sie in Ihrer Organisation ganz bewusst die Menschen miteinander, die möglichst unterschiedlich sind und möglichst wenig im sonstigen Berufsalltag miteinander zu tun haben. Das kann über Sonderprojekt-Aufgaben laufen, gemeinsame Trainings, kollegiale Beratung, Mittagessen-Verabredungen oder ähnliche Aktionen.
- Schaffen Sie ein internes „Beratungsteam“ (das wird auch gerne „Schatten-Aufsichtsrat“ genannt), welches Sie komplett gemischt zusammensetzen: Zum Beispiel die langjährig zuverlässige Chefsekretärin, der Technik-Azubi mit Migrationshintergrund, die Teilzeit-Kraft aus der Buchhaltung, der Außendienst-Haudegen und andere Kandidaten. Diskutieren Sie als Vorstand / Geschäftsführung mit dieser WIRKLICH bunten Truppe Ihre Ideen und Strategien. Hören Sie gut zu und nutzen Sie ggf. eine externe Moderation, um wirklich Gespräche auf Augenhöhe zu ermöglichen. Hier können sich sehr interessante Perspektiven ergeben.
- Treffen Sie mutige Personalentscheidungen. Suchen Sie nach Kandidaten, die nicht perfekt, nicht glatt, nicht passgenau und nicht unkompliziert sind. Holen Sie sich die sogenannten „konstruktiven Rebellen“ ins Haus, oder befördern Sie solche Menschen in Ihrer Organisation.
- Ermuntern Sie alle Menschen in Ihrer Organisation zum Hinterfragen des Status Quo – und sorgen Sie unbedingt dafür, dass dieses Nachfragen NICHT sanktioniert wird! Fragen Sie sich am besten jeden Tag selbst: a.) Warum mache ich das, was ich mache? b.) Warum mache ich es so, wie ich es mache?Diskutieren Sie Ihre Antworten – am besten mit einem Menschen, der ganz anders ist als Sie!
- Woran scheitert Diversity?
Meine Erfahrung ist leider, dass der klassische Satz „Der Fisch stinkt vom Kopf“ hier voll zutrifft. Wenn Führungspositionen nicht divers besetzt sind und Führungskräfte das Thema als „Diversity-Dingsda“ abtun, dann wird sich nichts verändern. Da helfen weder schicke Unternehmensbroschüren noch die Diversity-Bekundungen der Personaler. Wenn von oben keine unbequeme, hinterfragende und innovative Mitarbeiterschaft gewollt ist, dann wird es keine geben. Dann huldigen alle brav dem Status Quo.